Folge 2: Taylorismus war gestern – was jetzt auf Steuerkanzleien zukommt

Ein Berufsbild im Umbruch

Die Arbeitswelt in der Steuerberatung befindet sich in einem stillen, aber tiefgreifenden Wandel. Was lange als stabil galt, beginnt zu bröckeln: Prozesse, die auf tayloristische Effizienzlogik setzen, verlieren an Wirkung. Die Trennung von Denken und Handeln, das Menschenbild der extrinsisch motivierten Mitarbeiter, die durch Kontrolle zu Ergebnissen geführt werden – all das ist in einem Umfeld zunehmender Komplexität keine tragfähige Grundlage mehr.

Automatisierung schafft Raum für Beratung

Die Anforderungen an Steuerberatung verändern sich radikal. Standardisierte Aufgaben wie Buchhaltung oder Steuererklärungen werden mehr und mehr von Maschinen übernommen. Doch dieser Automatismus schafft keine Leere, sondern Raum – Raum für Beratung, Beziehung und kreative Lösungskompetenz. Genau darin liegt künftig der Mehrwert. Das, was nicht automatisierbar ist, wird zum Kern der Wertschöpfung.

Diese „Wertschöpfung der Ausnahme“ stellt andere Anforderungen an Strukturen und Zusammenarbeit. Kanzleien müssen lernen, sowohl mit Stabilität als auch mit Dynamik umzugehen. Es geht nicht darum, die Vergangenheit zu verleugnen, sondern sie zu überschreiten. Dort, wo Standardisierung sinnvoll ist, darf sie bleiben. Aber überall dort, wo individuelle Lösungen gefordert sind, braucht es Offenheit, Interdisziplinarität und kollektive Intelligenz.

New Work ist mehr als Flexibilität

New Work bietet hier eine Perspektive. Aber sie wird oft missverstanden. Es geht nicht um Feelgood-Maßnahmen oder die Digitalisierung der Oberfläche. Es geht um ein neues Verständnis von Arbeit: Menschen tun etwas, das sie wirklich wollen, weil es bedeutsam ist – für sie selbst und für andere. Das gelingt nur in Umgebungen, die psychologische Sicherheit bieten und Verantwortung nicht nur ermöglichen, sondern erfordern.

Einige Kanzleien zeigen, dass es geht: Die Einführung von 4-Tage-Wochen, die Umstellung auf selbstorganisierte Serviceteams, der bewusste Umbau hierarchischer Führungsmodelle. Diese Entwicklungen sind kein Selbstzweck. Sie sind strategische Antworten auf einen Markt, in dem sich Fachkräfte ihre Arbeitgeber aussuchen. Und auf Mandanten, die nicht nur Ergebnisse, sondern Orientierung suchen.

Führung als Gestaltung von Bedingungen

Die Rolle der Führung verändert sich grundlegend. Führung heißt nicht mehr, andere zu bewegen, sondern Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich Sinn, Initiative und Zusammenarbeit entfalten können. Dazu gehört auch, Kontrolle abzugeben, ohne Verantwortung zu verlieren. Führungskräfte werden zu Strukturgestaltern, nicht zu Antreibern.

Ambiguitätstoleranz wird zur Kernkompetenz

Ein oft unterschätzter Aspekt in dieser Transformation ist die Fähigkeit zur Ambiguitätstoleranz. Die moderne Steuerberatung ist geprägt von sich überlagernden Gesetzeslagen, volatilen Mandantenbedürfnissen und einem ständigen Druck zur Effizienz. Wer unter diesen Bedingungen erfolgreich sein will, muss in der Lage sein, mit Unsicherheit zu arbeiten, ohne in Aktionismus zu verfallen.

Diese Entwicklung ist kein einfacher Weg. Sie ist widersprüchlich, zäh, oft unbequem. Aber sie ist notwendig. Denn ohne tiefgreifende Veränderung werden viele Kanzleien genau das verlieren, was sie eigentlich bewahren wollen: Relevanz, Vertrauen und Zukunftsfähigkeit.