Folge 7: Orientierung in Unsicherheit – Wie sich Kanzleien in komplexen Zeiten neu ausrichten können

Orientierung in der Steuerberatung bedeutet heute mehr als Zahlen, Regeln und Prozesse zu verstehen. Es geht darum, Unsicherheit als Normalzustand zu akzeptieren – und darauf Antworten zu finden, die tragfähig bleiben. Digitalisierung ist dabei kein Technikproblem, sondern eine Denkaufgabe.

Digitale Transformation fordert neues Denken – nicht nur neue Tools.
Foto: Philipp Arnold, Berlin

Digitalisierung ist kein Technikproblem

Wir reden viel über Digitalisierung – über Tools, Prozesse, Automatisierung. Doch oft übersehen wir, was diese Dynamik wirklich herausfordert: unser Denken. Die Welt verändert sich nicht nur schneller, sie verändert die Spielregeln der Veränderung selbst.

In Kapitel 1.5 meines Buchs „Neue Arbeitswelt in der Steuerberatung“ beschreibe ich diese Verschiebung als soziale und kulturelle Herausforderung. Nicht, weil Technik irrelevant wäre, sondern weil Technik ohne Kontext blind bleibt. Der wahre Prüfstein für Kanzleien liegt nicht in der Technologie, sondern in der Fähigkeit, mit Unsicherheit umzugehen.

Orientierung durch neue Denkmodelle

Vier Modelle helfen, die neue Lage zu deuten: VUCA, BANI, RUPT und TUNA. Was zunächst wie eine Modenschau an Akronymen wirkt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als differenzierte Kartografie komplexer Zeiten. Sie alle zeigen: Die Welt wird brüchiger, unvorhersehbarer, nichtlinearer. Und damit stellt sich nicht nur die Frage, wie man organisiert, sondern, ob das eigene Organisationsmodell überhaupt noch zur Umwelt passt.

Was sie eint: Sie alle legen offen, dass klassische Führungsprinzipien wie Planbarkeit, Eindeutigkeit und Kontrolle nicht mehr tragen. Stattdessen braucht es neue Denkzeuge – nicht, um Komplexität zu vereinfachen, sondern um mit ihr umzugehen.

Was die Modelle für Kanzleien bedeuten

VUCA zeigt, dass Unsicherheit nicht die Ausnahme, sondern die neue Konstante ist: eine Welt, die volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig ist. Steuerung gelingt hier nicht durch Planung, sondern durch Aufmerksamkeit.

BANI macht deutlich, wie zerbrechlich Stabilität wirklich ist. Es beschreibt eine Realität, die brüchig, ängstlich, nichtlinear und unverständlich erscheint – und in der Vertrauen die neue Stabilität schafft.

RUPT verweist auf die Unvorhersehbarkeit digitaler Entwicklungen. Die vier Lettern rücken den technologischen Faktor ins Zentrum: radikal, unvorhersehbar, paradox, technologisch – Entwicklungen, die sozial vermittelt werden müssen.

TUNA bringt auf den Punkt, dass Neues oft chaotisch, aber nicht beliebig ist. Es steht für vorläufig, ungewiss, nichtlinear und mehrdeutig – und zeigt, dass Orientierung nur entsteht, wenn man Unschärfe aushält.

Diese Modelle sind keine Konzepte für Spezialisten. Sie sind Navigationshilfen für alle, die Verantwortung tragen – besonders in der Steuerberatung.

Führung unter Unsicherheit

Die eigentliche Relevanz liegt nicht in der Theorie, sondern in der Frage nach der Führungsfähigkeit unter neuen Bedingungen. Wer in einer Kanzlei Verantwortung trägt, muss heute nicht nur Gesetze kennen, sondern Ambiguität navigieren können. Es geht darum, Entscheidungen zu treffen, obwohl man nicht sicher ist. Orientierung zu geben, obwohl die Richtung unscharf bleibt. Vertrauen zu schaffen, obwohl Kontrolle nicht mehr genügt.

Von Effizienz zur Passung: Neues Denken von Problemlösung

Führung in dynamischen Umgebungen bedeutet nicht, alles zu wissen, sondern Räume für das Nichtwissen zu öffnen. Verantwortung heißt, mit Haltung zu führen – nicht mit Sicherheit. Es geht darum, Entscheidungsfähigkeit unter Unsicherheit zu kultivieren.

Problemlösung wird zur Frage der Passung, nicht der Effizienz. Hilfreich ist hier der heuristische Zugang: Nicht die perfekte Antwort zählt, sondern der nächste gangbare Schritt.

Praxisbeispiel: Lernen als Haltung

Die Einführung agiler Methoden wird dann nicht als Technikprojekt verstanden, sondern als kollektives Lernfeld. Ein Beispiel: Die Kanzlei bhatti.pro Steuerberatungsgesellschaft mbH integriert Mitarbeitende frühzeitig in Entscheidungsprozesse zur digitalen Transformation. So entsteht kein perfekter Prozess, sondern ein tragfähiger Rahmen für Entwicklung – getragen von Vertrauen, nicht von Vorgaben.

Digitale Transformation beginnt im Denken

Kanzleien müssen sich nicht schneller drehen – sie müssen anders sehen. Digitale Transformation ist kein Projekt, das man abhakt. Sie ist ein soziales Feld, das Führungsqualität im Denken erfordert, nicht im Status. Wer das erkennt, verändert nicht nur Strukturen, sondern Perspektiven – und vielleicht auch sich selbst.


Fazit: Orientierung in der Steuerberatung heißt Denken neu ausrichten

Orientierung in der Steuerberatung ist keine Frage von Tools oder Checklisten, sondern eine Haltungsfrage. Wer Unsicherheit akzeptiert und Neues integriert, stärkt seine Wirksamkeit. Zukunftsfähigkeit entsteht dort, wo Denken und Struktur sich gegenseitig befruchten.

Serie „Neue Arbeitswelt in der Steuerberatung“ – Folge 7


Ralf Haase ist Systemtheoretiker und Keynote-Speaker für eine neue Arbeitswelt in der Steuerberatung. Er arbeitet mit Steuerberatungskanzleien und angrenzenden Branchen an wirksamer Zusammenarbeit und moderner Organisation.

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